Personalmangel: Wie eine Restaurantinhaberin ihre erste Fachkräfterekrutierung aus dem Ausland erlebt hat
Martina Haut ist Restaurantinhaberin. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie in der Nähe der Hafencity mitten in Hamburg das „Gasthaus Heimathafen“ und zwei Cafés mit rund 30 Mitarbeitern. Obwohl auch sie die Coronakrise hart getroffen hat, konnten sie einige Fachkräfte halten. Für das Küchenteam des Heimathafens brauchen sie dennoch dringend einen weiteren Koch zur Verstärkung. Ende des Jahres 2021 veröffentlichen die beiden neue Stellenanzeigen. Eine Bewerbung sticht dabei besonders positiv hervor: Es ist die von Abdelouhab Debabeche aus Algerien, die 15.000. vom Projekt ProRecognition beratene Fachkraft. Die Restaurantbetreiber wagen zum ersten Mal den Schritt, eine Fachkraft aus dem Ausland zu rekrutieren. Im Interview berichtet die Restaurantchefin über Ihre Erfahrungen.
Frau Haut, weshalb haben Sie sich dazu entschlossen, eine Fachkraft aus dem Ausland zu rekrutieren?
Es war keine bewusste Entscheidung jemanden aus dem Ausland zu holen. Uns war anfangs nicht einmal klar, dass sich Herr Debabeche noch in Algerien befindet. Wir sind davon ausgegangen, dass er, wie viele andere Mitarbeiter in unserem internationalen Team, bereits in Deutschland ist. Auf neue Stellenanzeigen bewerben sich manchmal bis zu 20 Personen. Die Bewerbung von Herrn Debabeche war mit großem Abstand die aussagekräftigste. In einem ersten Telefonat mit ihm haben wir dann erfahren, dass er noch gar nicht hier ist. Wir dachten uns: Wow! Da ist jemand auf einem anderen Kontinent, der bereit ist, seine Heimat und sein altes Leben komplett hinter sich zu lassen, um zu uns zu kommen und Teil unseres Teams zu werden. Der muss es ernst meinen. Das war für uns der Anstoß, es nun jetzt mal zu versuchen.
Wie ging es weiter?
Zum Glück wurde er an der Auslandshandelskammer (AHK) in Algerien vom Projekt ProRecognition bei allen Schritten der Erwerbsmigration unterstützt. Die Berufsanerkennung seiner Ausbildung hatte er dank der Anerkennungsberatung vor Ort bereits in der Tasche. Beim Bewerbungsschreiben und später beim Visumantrag hat auch der Berater von ProRecognition geholfen. Alle notwendigen Schritte vor der Einreise liefen reibungslos. Das hat auch für uns als Unternehmer alles erleichtert, dass er in Algerien jemanden an seiner Seite hatte, der beide Länder aus dem „ff“ kennt und ihn bei vielen Aspekten der Migration nach Deutschland hilfreich beraten und unterstützen konnte. Die Kommunikation lief fortan über E-Mail direkt mit seinem Anerkennungsberater. Für Anfang Mai 2022 hatten wir seinen ersten Arbeitstag geplant.
Wie ist Herr Debabeche in Hamburg angekommen? Lief alles reibungslos?
Herr Debabeche ist sehr freundlich, zugewandt und anpassungsfähig. Die deutsche Sprache fällt ihm noch nicht so leicht, aber das funktioniert trotzdem. Wir haben auch Mitarbeiter, die Englisch und Französisch sprechen. Das hat die Einarbeitung erleichtert, wobei er die ohnehin fast nicht gebraucht hat. Man hat am ersten Tag in der Küche sofort gesehen, dass er in seiner Heimat eine top Ausbildung genossen hat. Integration, sich richtig einleben, Spracherwerb usw.: Das sind alles Themen, die mit der Zeit in Deutschland meiner Meinung nach von selbst kommen. Für Menschen, die extra aus dem Ausland hier her zu uns kommen sind das, glaube ich, eher kleinere Hürden. Hochproblematisch ist viel mehr, dass Herr Debabeche seit fast vier Monaten noch immer wohnungslos ist.
Wo lebt er und wo bekommt er Hilfe?
Herr Debabeche lebt derzeit für rund 900 Euro im Monat in einem kleinen Hotelzimmer am Stadtrand. Schon vor seiner Ankunft kümmerten mein Mann und ich uns darum, ihm eine Wohnung zu besorgen. Bis zum Arbeitsantritt hat es nicht geklappt, weshalb wir ihn erstmal in das einzige bezahlbare Hotel einquartiert haben. Seitdem lassen wir wirklich nichts unversucht, um ihn dort raus- und in eine eigene Wohnung reinzubekommen: Wir haben etliche Makler angeschrieben, sehr viele Telefonate geführt, uns bei diversen Portalen angemeldet sowie persönlich mehrere Wohnungen besichtigt. Das ist sehr zeitintensiv. Wir haben eine Absage nach der anderen bekommen. Einmal wurde uns sogar gesagt, dass sein Visum Ende September abläuft und deshalb von einem Mietvertragsabschluss abgesehen wird. Ohne Wohnung kann er sich bei der Stadt aber nicht melden und wenn er nicht gemeldet ist, wird laut Ausländerbehörde sein Visum nicht verlängert. Über sechs Ecken haben wir nun aber einen vielversprechenden Hinweis aus dem Bekanntenkreis bekommen. Herr Debabeche wird Ende September höchstwahrscheinlich doch endlich eine Wohnung kriegen. Bei der Besichtigung werden wir ihn begleiten.
Ist das mit Blick auf auf die Gültigkeit seines Visums dann nicht zu spät?
Wir haben mit dem für ihn zuständigen Bürgeramt telefoniert und die äußerst missliche Lage beschrieben. Eine Sachbearbeiterin hat uns versichert, persönlich mit den Hotelbetreibern in Kontakt zu treten, um eine Überganslösung zu finden. Unser Koch hat bald einen Termin beim Amt, um sich vorübergehend im Hotel zu melden. Man kann ja nicht mal ein Bankkonto eröffnen ohne Meldeadresse! Seinen Lohn bekommt er von uns derzeit bar ausgezahlt. Anders geht es nicht.
Wo sehen Sie persönlich Stellschrauben bei der Fachkräfteeinwanderung?
Obwohl wir noch keine Erfahrung mit Fachkräften aus dem Ausland gesammelt hatten, wussten wir schon Monate vor der Ankunft, dass das mit der Einwanderung irgendwie nicht ganz zu Ende gedacht ist. Wie soll er als ausländische Fachkraft mit schlechtem Deutsch und null Kenntnissen über den Wohnungsmarkt in Hamburg an eine Wohnung kommen? Das ist utopisch. Wir sind froh über jeden, der am Ende hier bei uns ankommt. Die paar Monate mehr oder weniger Verzögerung wegen Anerkennungsverfahren oder Visum sind nicht entscheidend. Enorm wichtig ist aber für uns als Unternehmer, planen zu können und die Sicherheit zu haben, dass die Fachkräfte, die die Hürden auf sich nehmen und extra aus dem Ausland zu uns kommen, nicht nach ein paar Monaten wieder die Rückreise antreten müssen. Das war uns vorher nicht klar, dass diese Gefahr überhaupt besteht und welch unternehmerisches und persönliches Engagement es braucht, um die dringend benötigte Fachkraft auch im Land halten zu können. Man hört ständig, dass sämtliche Branchen Personal brauchen. Dafür müssen aber Strukturen hier in Deutschland geschaffen werden, damit die Leute schnell und vernünftig ankommen. Ich hätte mich über eine Art verbindlichen Prozess gefreut, der Unternehmen und Fachkraft schon vor der Einreise bestätigt, dass man in Deutschland bei allen elementaren „first steps“ wie Wohnungssuche, Bankkonto-Eröffnung, Krankenversicherung und und und unterstützt wird. Bei der Wohnungssuche bräuchte es vielleicht so etwas wie einen von einer Behörde zertifizierten Schein, der vor der Einreise ausgestellt wird und Wohnungseigentümern oder Maklern die Sicherheit gibt, dass es sich um eine Fachkraft mit Job in Deutschland handelt, die längerfristig plant, in unserem Land zu leben und zu arbeiten.
Was würden Sie Kollegen aus der Branche empfehlen?
Unser Koch ist das beste Beispiel, dass sich die Rekrutierung aus dem Ausland lohnt. Wer so mutig ist, seine Heimat für einen Job zu verlassen, ist sehr motiviert und definitiv eine Bereicherung. Die Anerkennung der Berufsqualifikation gibt im Bewerbungsprozess zusätzlich die Sicherheit, dass die Fachkraft auch das beherrscht, was im Bewerbungsschreiben angegeben wird. Was ich aber jedem empfehlen und mitgeben würde ist, viel Zeit für Behördengänge und Unterstützungsangebote einzuplanen – bis hin zur Unterstützung bei der Wohnungssuche. Im Zweifel mietet man zunächst selbst als Firma, so machen wir es vielleicht beim nächsten Mal. Bei unserem Koch aus Algerien bin ich jetzt aber zuversichtlich, dass alles gut ausgehen wird.
Vielen Dank Frau Haut für Ihr persönliches Engagement. Wir wünschen Ihnen und Ihrem internationalen Team alles Gute und hoffen sehr, dass die Migrationsgeschichte von Herrn Debabeche einen erfolgreichen Abschluss findet. Wir bleiben dran und werden berichten!