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Gib Gummi – warum Kautschuk Biodiversität braucht

Interview mit Jens Timmerbeil, CSR-Manager bei Schwalbe, über ihren wichtigsten Rohstoff: den Kautschuk
Brennpunkt Biodiversität

© Schwalbe – Ralf Bohle GmbH

Biodiversität gehört beim Fahrradreifenhersteller Schwalbe schon lange zum Unternehmensalltag. Für die Reifen braucht das Unternehmen Kautschuk aus Südostasien. Schwalbes CSR-Manager Jens Timmerbeil erklärt, wie der Anbau des Kautschukbaums mithilfe sozialgerechter Maßnahmen dazu beitragen kann, das Ökosystem aufrechtzuhalten und Lieferketten auch über weite Distanzen umweltfreundlicher zu gestalten.

Wie wichtig ist das Thema Biodiversität für Ihr Unternehmen?

Es ist für uns von immenser Bedeutung! Wir als Unternehmen haben ein essenzielles Geschäftsinteresse daran, dass es den Plantagen, von denen wir unseren Kautschuk beziehen, gut geht und die Ökosysteme in Südostasien geschützt sind. Die globalen Klimaveränderungen machen auch vor den Kautschukplantagen nicht halt. Zu starker oder wochenlang ausbleibender Regen sowie der Befall durch Blattkrankheiten gefährden die Kautschukernte. Ebenso zwingt der niedrige Weltmarktpreis von Naturkautschuk die Zapferinnen und Zapfer dazu, auf andere Rohstoffe wie Maniok oder Palmöl umzusteigen. Dabei gestaltet sich der Fokus auf Biodiversität als echtes Wundermittel.

Wie das?

Ein Großteil des von uns bezogenen Kautschuks ist sogenannter Dschungelkautschuk. Im Gegensatz zu Kautschuk, der aus einem Monokultursystem kommt, kann Dschungelkautschuk in einer vielfältigen, artenreichen Umgebung angebaut werden, die den natürlichen Waldbedingungen fast gleichkommt. Diese Methode ist weniger intensiv und stützt sich mehr darauf, das natürliche Ökosystem zur erhalten. Die Zapferinnen und Zapfer sprechen von einem resilienteren Wald und profitieren durch ein diversifiziertes Einkommen, da sie mehrere Produkte vom gleichen Stück Land ernten und verkaufen können: Früchte, Holz und andere Waldprodukte –  zusätzlich zum Kautschuk.

Allein von Kautschuk können die Zapferinnen und Zapfer nicht leben?

Die Situation auf den Kautschukplantagen und am Anfang der Wertschöpfungskette ist einfach sehr schwierig, da der Weltmarktpreis von Naturkautschuk sehr niedrig ist. Deswegen findet häufig eine Umstellung von Kautschuk zu lukrativeren Agrarprodukten wie Kaffee, Maniok oder Palmöl statt. Die wachsen schneller, bringen mehr Ertrag und damit ein rasches Einkommen.  Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit dem Fair Rubber e. V. als bislang immer noch einziger Reifenhersteller daran, den Kautschukzapfer und Zapferinnen durch das Zahlen einer Prämie von rund. 0,50 € pro Kilo ein Einkommen zu ermöglichen, mit dem sie einen ausreichenden Lebensunterhalt erwirtschaften können. So gelingt es der Initiative, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern beim Kautschukzapfen bleiben, da die vorhandenen Flächen ausreichend Ertrag bringen und dadurch das Ökosystem Wald langfristig geschützt wird.

Wie genau läuft denn der Prozess in der Lieferkette ab – also wie kommt der Kautschuk zu Ihnen?

Das ist ein spannender und sehr händischer Prozess. Naturkautschuk wird vom Kautschukbaum gewonnen und in Form von Rohlatex geerntet. Der Kautschukbaum wird früh am Morgen angezapft und der milchige und klebrige Latex von den Zapfern und Zapferinnen in kleinen Schalen Tropfen für Tropfen gesammelt. Wenn er nicht schnell verarbeitet wird, verklumpt der Latex auf natürliche Weise. Danach wird er an Zwischenhändlerinnen und -händler verkauft und geht dann an Betriebe, die daraus in einem mehrstufigen Säuberungs- und Trocknungsprozess Kautschukblöcke machen. Die werden dann beispielsweise an die Reifenhersteller, also auch an uns, geliefert. Da sind zahlreiche Parteien involviert, bevor der Kautschuk bei uns in der Produktion landet.

Was sind die Besonderheiten von Naturkautschuk?

Naturkautschuk ist für die Fahrradreifenproduktion aufgrund seiner einzigartigen Eigenschaften wie Elastizität, Belastbarkeit und Grip unverzichtbar. Er wird aus dem Milchsaft des Kautschukbaums gewonnen, der hauptsächlich in tropischen Regionen angebaut wird. Der Kautschukbaum braucht fünf bis sieben Jahre, um das erste Mal angezapft werden zu können. Danach kann er 25 bis 30 Jahre angezapft werden. Gefährlich ist daran, dass die Kautschukzapfer und Zapferinnen aufgrund eines zu geringen Weltmarktpreises, nicht genügend Geld für ihren Kautschuk erhalten und deshalb darüber nachdenken, auf einen anderen Rohstoff zu wechseln und den Kautschukbaum durch Brandrodungen abholzen. Das ist langfristig schlecht für den Planeten, für das Ökosystem und für die Tiere.

Gibt es denn Alternativen zum Kautschuk?

Eine Alternative, um Naturkautschuk zu gewinnen, ist der russische Löwenzahn. Diese Pflanze wächst in gemäßigten Klimazonen und liefert bereits nach 1 bis 2 Jahren Ertrag, im Gegensatz zu den 7 Jahren bei Kautschukbäumen. Dies könnte die Biodiversität schützen, indem es den Druck auf tropische Ökosysteme verringert. Alternativen wie Guayule, ein Strauch der z. B. in den südlichen USA wächst, werden ebenfalls untersucht. Trotz dieser Alternativen bleiben Herausforderungen bestehen. Auch alternative Naturkautschukquellen benötigen Anbauflächen und können bei nicht-nachhaltiger Bewirtschaftung ökologische Probleme verursachen.

Welche weiteren Bemühungen unternimmt Schwalbe, um das Thema Biodiversität zu adressieren?

Seit 12 Jahren unterstützen wir beispielsweise die Borneo Orang-Utan Survival Foundation (BOS) in Indonesien. Die Stiftung setzt sich für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Orang-Utans und ihres Lebensraums ein. Zu den Aktivitäten der BOS gehören die Rettung und Betreuung heimatloser oder verwaister Orang-Utans, der Kampf gegen die Zerstörung des Regenwaldes, dem Lebensraum der Orang-Utans und die Vorbereitung der Auswilderung geretteter Tiere. So konnten bereits 2000 Tiere gerettet und weit mehr als 500 Orang-Utans in über 450.000 Hektar sichere Wälder entlassen werden. Neben unserem internationalen Engagement versuchen wir auch lokal für das Thema Biodiversität zu sensibilisieren. Im Rahmen eines Aufforstungsprojekts in der Nähe unserer Unternehmenszentrale haben unsere Mitarbeitenden beispielsweise die Wiederanpflanzung und Pflege von Bäumen in einem vom Borkenkäfer und Trockenheit geschädigten Waldgebiet übernommen. Etwa ein Drittel der Waldfläche im Bergischen Land ist von diesen Problemen betroffen. Langfristig ist unser Ziel, nicht nur die negativen Auswirkungen auf die Natur zu eliminieren, sondern positive Beiträge zu leisten, um die Regeneration bestehender Ökosysteme zu fördern. 


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Eva Baumgärtner Projektkoordinatorin | Unternehmen Biologische Vielfalt

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Portrait Valentin Franklyn
Valentin Franklyn Projektkoordinator | Unternehmen Biologische Vielfalt

Unternehmen Biologische Vielfalt

Biodiversität ist innerhalb der deutschen Wirtschaft nach wie vor ein Nischenthema. Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, dass sie von funktionierenden Ökosystemleistungen abhängig sind. Mit dem Verbundprojekt Unternehmen Biologische Vielfalt wollen wir Unternehmen für das Thema sensibilisieren und mobilisieren. Die Industrie- und Handelskammern entwickeln wir dafür zu regionalen Biodiversitäts-Kompetenzzentren. Kleine und mittelständische Unternehmen finden hier ihre Ansprechpartner*innen, um Biodiversität entlang aller Produktionsschritte mitzudenken. Mit regionalen Netzwerken, Coachings und unterschiedlichen Veranstaltungsreihen ermutigen wir Unternehmen, die nächsten Schritte zu gehen. Denn: Die Biologische Vielfalt ist schlichtweg essenziell für eine Wirtschaft, die eine Zukunft haben möchte.