Bäume mit Burnout
Künstliches Licht richtet nachts erheblichen Schaden an – ob nun der ausgeleuchtete Parkplatz, das blinkende Werbebanner oder die Straßenlaterne im Dauereinsatz. Annette Krop-Benesch, Expertin für Licht, und Lucia Benchekroun - Nachhaltigkeitsmanagerin bei der Bionade GmbH - plädieren für einen bewussten Umgang mit künstlichem Licht und zeigen, wie man es besser machen kann.
Wie beeinflusst künstliches Licht die Tier- und Pflanzenwelt?
Annette Krop-Benesch: Nachtfalter beispielsweise sind besonders lichtempfindlich. Sie fliegen an die Lichtquellen und sterben dort. Studien zeigen, dass in Deutschland, den Niederlanden und in Großbritannien ihre Anzahl stark zurückgeht. Dabei brauchen wir sie, um unsere Obstbäume zu bestäuben. Auch Zugvögeln wird das Licht der Großstädte nachts zum Verhängnis. Sie werden davon angezogen, geblendet und fliegen in beleuchtete Hochhäuser hinein. Millionen Vögel sterben jährlich auf diese Weise.
Davon sehen wir am nächsten Tag auf dem Weg ins Büro aber nichts mehr.
Annette Krop-Benesch: Für Ratten, Füchse und Waschbären ist das Futter. Auch unsere Straßenreinigung räumt einen Teil der Tiere weg. Da wir nachts nicht durch die Gegend laufen, fällt uns gar nicht auf, wie viel Schaden angerichtet wird. Zumal wir ohnehin denken, dass nachts nicht viel passiert. Als Mutter von zwei kleinen Kindern lese ich in Kinderbüchern „die Sonne geht unter, die Tiere gehen schlafen“. Wir haben ein völlig falsches Bild von der Nacht und wissen gar nicht, dass das Leben draußen dann erst so richtig los geht.
In Ihren Vorträgen sprechen Sie von Bäumen mit Burnout. Sind unsere Bäume überarbeitet?
Annette Krop-Benesch: Bei Licht beginnt der Baum mit der Photosynthese. Dabei entstehen freie Radikale. Das sind aggressive Moleküle, die die Zellen zerstören. Bei uns Menschen können sie Krebs auslösen. Bäume zerstören diese freien Radikale im Dunkeln. Wird es nicht mehr dunkel, weil der Baum zum Beispiel neben einer Straßenlaterne steht, macht er nachts einfach weiter mit der Photosynthese. Er kann sich nicht mehr regenerieren. Die Folge ist, dass die freien Radikale die Zellen des Baums angreifen. Die Blätter werden braun und sterben ab. Das entspricht dem, was wir als Burnout kennen: Der Baum arbeitet und arbeitet und kommt nicht mehr zur Ruhe.
Frau Benchekroun, wie beschäftigt Bionade das künstliche Licht und die Folgen?
Lucia Benchekroun: Als Lebensmittelhersteller sind wir abhängig von qualitativ hochwertigen Rohstoffen aus der Natur. Damit genügend Rohstoffe nachwachsen, braucht es die Insekten. Wir versuchen deshalb die Treiber des Biodiversitätsverlusts zu mindern – und dazu gehört auch das Licht.
Wie sieht Ihr Lichtkonzept aus?
Lucia Benchekroun: Licht vermeiden, wo es möglich ist und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sicherheit durch Licht bieten, wo es notwendig ist. Das ist das Konzept. Unser Standort liegt im UNESCO Biosphärenreservat Rhön. Daher war die Verbindung zum Thema schon lange vorhanden.
Was heißt das für Ihre Leuchten?
Lucia Benchekroun: Wir haben im vergangenen Jahr eine Liste mit all unseren Lichtquellen erstellt und sie nach Standort, Zweck, Leistung, Spezifikation und Farbtemperatur analysiert und ob Bewegungsmelder integriert sind. So haben wir nun Strahler identifiziert, die wir austauschen müssen.
Wer ist an diesem Prozess beteiligt?
Lucia Benchekroun: Zusammen mit der Betriebsleitung, der Arbeitssicherheit und dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement werden wir entscheiden, welche Strahler stattdessen zum Einsatz kommen. Wir sind außerdem dabei eine Guideline zu entwickeln, wie Lichtverschmutzung vermieden werden kann. Die stellen wir allen interessierten Unternehmen gerne zur Verfügung.
Wie sieht nun eine insekten- und baumfreundliche Beleuchtung aus?
Annette Krop-Benesch: Es gibt keine insektenfreundliche Beleuchtung, höchstens eine insektenschonende. In die Nacht gehört nur das Licht von Mond und Sternen. Jedes Licht, das wir zusätzlich einbringen, ist problematisch. Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Wohnungsbaugesellschaft hat Insektenhotels aufgestellt. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollten die Insekten nachts sehen können, daher wurden die Hotels angeleuchtet. Mittlerweile ist klar: Das ist eine schlechte Idee. Jetzt werden die Hotels nicht mehr beleuchtet. Das ist dann wirklich insektenfreundlich.
Worauf ist zu achten, wenn doch beleuchtet werden soll?
Annette Krop-Benesch: Alles Licht sollte nach unten strahlen. Also keine Kugelleuchten und keine schräg gestellten Scheinwerfer verwenden – und nur so hell wie nötig. Wir brauchen kein tageshelles Licht in der Nacht. Für einen Gehweg reicht eine Beleuchtungsstärke von zwei Lux aus. Das gilt auch für Parkplätze, wobei hier bis zu 70 Lux keine Seltenheit sind. Bewegungsmelder sorgen dafür, dass nur beleuchtet wird, wenn es auch notwendig ist. Außerdem gilt: Je weißer und kälter das Licht, desto mehr schädigt es die Umwelt. Gelb-oranges Licht ist besser. Hier gibt es mittlerweile auch schon LED. Sie verbrauchen allerdings mehr Energie als LED mit weiß-kaltem Licht. Hier müssen wir eine Balance finden.
Auf welche Art der Beleuchtung setzen Sie bei Bionade?
Lucia Benchekroun: Auf unserem Parkplatz kommt gelbliches Licht zum Einsatz, das sich automatisch abschaltet, wenn nicht mehr gearbeitet wird. Außerdem setzen wir auf dem ganzen Produktionsgelände Bewegungsmelder ein. Mittlerweile beleuchten wir auch unser Logo nicht mehr.
Hatten Sie Umsatzeinbußen zu verzeichnen, seit das Logo nicht mehr leuchtet?
Lucia Benchekroun: Nein, ich denke nicht.
Warum strahlen uns dann nachts so viele Werbeschilder an?
Annette Krop-Benesch: Viele denken, wenn mein Schild nicht leuchtet, werde ich nicht gesehen. Es ist ein Wettbewerb. Für Konsumentinnen und Konsumenten spielt das aber keine Rolle. Warum kaufe ich Bionade? Sicherlich nicht, weil das Firmenlogo am Produktionsstandort leuchtet. Auch bei Geschäften sollten wir die Frage stellen, wie häufig jemand nachts auf dem Weg nach Hause an einem hell erleuchteten Geschäft vorbeiläuft und sich denkt: Da muss ich mal einkaufen gehen. Ich würde mir wünschen, dass nach 23 Uhr Reklamebeleuchtungen abgeschaltet werden müssen. Auch um die Unternehmen zu unterstützen, die der Natur auf diese Weise bereits etwas Gutes tun.
Im Zuge des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ wurde das Emissionsschutzgesetz in Bayern geändert. So dürfen beispielsweise öffentliche Gebäude nach 23 Uhr nicht mehr beleuchtet werden.
Annette Krop-Benesch: Leider brauchen wir diese Gesetze. Es gibt zu viele Leute, die nicht verstehen, wie wichtig das ist. In Bayern gibt es die „Paten der Nacht“, eine Organisation, die sich gegen Lichtverschmutzung einsetzt und auf Gemeinden zugeht. Sie glauben nicht, wie viele Gemeinden überhaupt nicht einsehen, warum man eine Kirchturmbeleuchtung nachts ausschalten sollte. Argumente wie die Energieeinsparung oder Umwelt- und Insektenfreundlichkeit überzeugen nicht. Das finde ich schade. Natur sollten wir doch erhalten wollen. Niemand würde auf die Idee kommen, die Gemeinde die ganze Nacht mit Kirchenmusik oder einem Werbejingle zu beschallen. Bei Licht sind wir leider noch nicht so weit mit dem Bewusstsein.